Mit klangvoller Musik und einem inspirierenden Festvortrag feierte unsere Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik am 13. November 2015 ihren 12. Jahrestag, in dessen Mittelpunkt unser Kirchturm und seine Sanierung stand.
Den feierlichen Abend eröffnete Kantor Manfred Schwendner mit dem Orgelstück Cathédrales von Louis Vierne, dessen Klänge wie aus mysthischem Dunkel einer Kathedrale langsam anschwellend sich zu heller Fülle steigerten. Herr Maxeiner begrüßte anschließend herzlich die zahlreichen Festgäste sowie mitwirkenden Redner und Musiker. Er erläuterte kurz die Turmsanierung als das größte
Renovierungsprojekt von St. Marien – nicht nur seit Bestehen der Stiftung, sondern seit dem Wiederaufbau der Kirche nach dem 2. Weltkrieg. Die Sanierung der rund 1.000 Schadstellen wird im Frühjahr 2016 beendet sein.
In sehr zugewandten Grußworten der Stadt stellte Bürgermeister Manfred Sauer einen Bezug vom 12. Stiftungstag zu der Felsformation der sogenannten Zwölf Apostel vor der Küste Australiens her: Diese würden durch Erosion allmählich untergehen, während der Turm von St. Marien gerettet werden könne. Er würdigte das diesbezügliche Engagement der Stiftung, betonte ihre Bedeutung für eine lebendige Kirche in der Stadtgesellschaft und bezeichnete sich selbst als ehrenamtlichen Apostel, der das Projekt Turmsanierung in die Stadtverwaltung hineintragen werde.
Mit heiteren Einlassungen zur britischen Zeichentrickfigur Bob der Baumeister begann Superintendent Ulf Schlüter seine Grußworte. Der Baumeisters fragte: „Können wir das schaffen?“ und gab auch gleich selbst die berühmte, in die Weltgeschichte eingegangene Antwort: „Yes, we can“ bzw. „Ja, wir schaffen das“. Und auch St. Marien werde im Vertrauen auf die Gemeinde, auf Stiftung, Freunde und Förderer die Turmsanierung schaffen. Wenngleich manch mittelalterlicher Turmbau neben der Verherrlichung Gottes auch städtischem Geltungsdrang diente, so agieren wir heute in Demut, um mit dem Turmerhalt ein hoch aufragende Zeichen der Hoffnung zu setzen.
Die nachfolgenden Redebeiträge und insbesondere der Festvortrag wurden gerahmt von Francis Poulencs Sonate für Flöte und Orgel. Die zarten, fast fragend klingenden beiden ersten Sätze, der fröhlich-zuversichtlich antwortende dritte Satz und deren einfühlsame Interpretation durch Manfred Schwendner und die Flötistin Ulrike Günther ließen den Klangraum von St. Marien wieder einmal erstrahlen.
Den Festvortrag über Kirchtürme als architektonische und geistliche Stadtmarken hielt Professor Eckhard Gerber, der als – auch international erfolgreicher – Architekt unsere heutige Dortmunder Stadtsilhouette entscheidend mitgeprägt hat. Seit langem ist er der Ev. St. Mariengemeinde verbunden, nicht zuletzt, weil er selbst aus einem evangelischem Pfarrhaus stammt und in seinem thüringischen Heimatdorf zu Zeiten des Sozialismus die Dorfkirche und ihr Turm stets Leitbild und Wegweiser, Bollwerk und Refugium bildeten.
In einem äußert interessanten Powerpointvortrag benannte Prof. Gerber zunächst die frühesten Beispiele des Turmbaus: Den biblischen Turmbau zu Babel und den historischen Leuchtturm von Alexandria, welcher der Orientierung der Seeleute diente und stets auch als Heilszeichen für die stürmische Lebensreise des Menschen interpretiert wurde. In architektonischer Anlehnung an Leucht- sowie Wehrtürme und als bauliche Ergänzung zuvor turmloser Kirchengebäude entstanden im frühen Christentum die ersten Sakraltürme.
In den folgenden Jahrhunderten rangen die Kirchenbaumeister sowohl um die architektonische Verbindung zwischen horizontalem Kirchenbaukörper und vertikalem Sakralturm als auch um die geometrische Formulierung von quadratischem Turmschaft und emporstrebender Turmspitze. Professor Gerber entfaltete ein Panorama bedeutender europäischer Kirchbauten wie der Einturmfassade des Freiburger Münsters, der Doppelturmfassade des Kölner Doms, dem lichtspendenden Vierungsturm der Freisinger Wieskirche, der Einheit von Kuppel und Turm bei der Dresdner Frauenkirche, der dreitürmigen Wallfahrtskirche in Longchamps von Le Corbusier bis zur jüngst erbauten, eintürmigen St. Trinitatis-Kirche in Leipzig. In all diesen Jahrhunderten waren die Kirchen stets stadtbildprägend und sichtbares Zeugnis des Christentums als Fundament unserer gesamten Kultur.
Auch in seinen eigenen Architekturentwürfen habe er stets wechselseitige Blickbeziehungen zwischen Profan- und Sakralbauten gestaltet, um so die Bedeutung der Kirche im Stadtraum und in unserer heutigen Gesellschaft in den Blick zu rücken. Professor Gerber endete seine Ausführungen mit der Idee, den schon im 19. Jahrhundert abgetragenen Nordturm von St. Marien neu zu errichten, diesen in ein Glasdach münden zu lassen und in dem so entstehenden Lichtraum vielleicht eine Taufkapelle einzurichten als sinnfälliges Zeichen von Licht und Leitbild des Glaubens. Er schloss seinen spannenden Vortag mit der freundlichen Ermunterung „Geht in die Kirchen und denkt über Euch selbst nach“.
Anschließend trug Herr Schophaus den Rechenschaftsbericht über die satzungsgemäße Verwendung der Spenden und – zinsbedingt leider geringen – Erträge aus dem Stiftungskapital von 2014 vor und bat um Spenden zum Erhalt von St. Marien als Kleinod der Dortmunder Geschichte. Zum Abschluss dankte die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Renate Fischer allen Gästen für ihr Kommen, allen Mitwirkenden für ihr großes Engagement, Professor Gerber für seine innovative Turmidee und allen bisherigen Spendern für ihre große Unterstützung.
Den Schlussakkord dieses festlichen Abends setzte wiederum die Orgel mit wirbelnden und pulsierenden Glockenklängen des Carillon de Westminster. Bei einem gemeinsamen Umtrunk und anregenden Gesprächen klang ein sehr inspirierender und musikalisch wunderbar begleiteter Abend
allmählich aus.
Silvia Schmidt-Bauer
Schriftführerin Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik