Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Diese Aspekte durchzogen musikalisch, in Grußworten und Festvortrag die Feier des Stiftungsjahrestages. Herr Maxeiner begrüßte die zahlreichen Gäste – als aktueller, die Zukunft der Stiftung mitgestaltender Vorsitzender, aber nicht mehr als Pfarrstelleninhaber und damit Hausherr, denn dieses Amt habe er freudig in gute Hände weiterreichen dürfen.
Die Superintendentin Heike Proske knüpfte daran an, indem sie die Ev. Stadtkirche St. Marien als „Schönheit aus der Vergangenheit bezeichnete, die in der Gegenwart für die Zukunft bewahrt und gepflegt“ werde. Sie hoffe, dass alle Besucher sich von der Kunst, Würde und Besonderheit der Marienkirche ansprechen lassen, setzte für den als Bodendenkmal geltenden Marienkirchplatz einen Denkimpuls und wünschte allen einen begegnungsreichen Abend.
Bürgermeister Norbert Schilff bekräftigte, wie sehr ihm diese Grußworte und diese wunderbare Marienkirche am Herzen lägen und freute sich über den – dank des aktuellen Stiftungsprojekts „Sanierung der Schreiter-Fenster“ – nun noch heller und freundlicher wirkenden Kirchenraum. Angesichts eines schrecklichen Kriegs nicht weit von uns, von zurzeit 80 Kriegen weltweit, über 800 bewaffneten Konflikten und rund 700 Mio. Menschen, die keinen Zugang zu frischem Trinkwasser haben, erinnerte Herr Schilff daran, dass auch Dortmund vor 70 Jahren zu 98% in Trümmern lag, dieser Kirchenbau aber ein Zeichen von Hoffnung sei und die Stiftung auch in Zukunft tatkräftig wirken möge.
Die neue Pfarrstelleninhaberin Birgit Worms-Nigmann erläuterte die neu geknüpfte pfarramtliche Verbindung mit der Lydiagemeinde und freute sich, dass die – auch dank der langjährigen Stiftungsarbeit – gut erhaltene Marienkirche heute ein lebendiges Zeugnis christlicher Verkündigung sei und mit ihren Projekten wie zuletzt die Orgelreihe „Musik aus dem Schwalbennest“, aber auch der Ausstellung „Blumen der Bibel“ Besucher in ihren Bann ziehe.
Schon zum Auftakt des Abends und auch als Auftakt des Festvortrags spielte Kantor Manfred Grob Orgelwerke, die schon im Titel das Erinnern an Vergangenes trugen. Orgelwerke, die er ebenso einfühlsam wie ansprechend interpretierte.
In seinem Festvortrag über „Archive als Orte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ gab Dr. Stefan Mühlhofer, Direktor des Stadtarchivs, einen höchst informativen und mit manch humorvoller Karikatur gekrönten Einblick in das weitgefächerte Aufgabengebiet eines kommunalen Archivs.
Grundlage der Stadtarchiv-Arbeit ist das Archivgesetz Nordrhein-Westfalen (ArchivG NRW). Danach dient ein öffentliches Archiv der Wahrung rechtlicher und amtlicher Interessen des Trägers und ist Ort nachgeholter demokratischer Kontrolle. So hätten z. B. Donald Trump und auch die Witwe Helmuth Kohls alle bei ihnen gelagerten Unterlagen an die zuständigen Archive übergeben müssen, denn politisches Handeln muss für nachfolgende Generationen kontrollierbar und nachvollziehbar sein.
Das Dortmunder Stadtarchiv bewahrt die bis in das Mittelalter zurückreichende schriftliche Überlieferung zur Geschichte der Stadt. Dazu zählen einerseits städtische Verwaltungsakten, Ratsprotokolle, Bauakte und andere bedeutsame Dokumente, die fortlaufend übernommen werden, andererseits Nachlässe von Privatpersonen, politischen Parteien und Firmen sowie umfangreiche Sammlungen von Fotos und Grafiken, Filmen, Karten sowie eine lokale Pressedokumentation. Im Stadtarchiv wird all dies gesammelt und sortiert, systematisiert und manches “kassiert“, d. h. weggeworfen. Alles Wichtige und Erhaltenswerte hingegen wird sorgsam katalogisiert, konservatorisch betreut, wissenschaftlich erschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Im Bestand des Stadtarchivs befinden sich aktuell
– 3.000 Urkunden vom 13. Jahrhundert bis heute
– 5.500 Meter Archivgut aus amtlicher und privater Überlieferung
– 13.500 Karten und Pläne
– über 800.000 Zeitungsausschnitte
– 700.000 Fotoabzüge, Negative, Dias und damit eines der größten Bildarchive in NRW
– 3.000 Filme
– sowie eine Präsenzbibliothek mit 40.000 Titeln.
Im Lesesaal stehen diese Präsenz-Titel zu den Öffnungszeiten direkt oder über eine Magazinbestellung zur Verfügung. Vieles kann auch im Digitalen Lesesaal, z. B. über das online-Portal Archive in NRW abgerufen werden; dort die Daten einzupflegen ist allerdings ein herausforderndes Dauerprojekt. Im Lesesaal an der Märkischen Straße kann nach Voranfrage auch gelagertes, historisches Archivgut eingesehen werden.
Die Geschichte des Stadtarchivs reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück, als städtische Urkunden zunächst im Rats- und Gerichtssaal und später im Archivturm am Alten Rathaus aufbewahrt wurden. Im Jahr 1871 wurde der Historische Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark gegründet (der heute noch seine Geschäftsstelle im Stadtarchiv hat) und 1898 erfolgte der Umzug des Archivs in das Alte Stadthaus. Im Jahr 1999 zog das Stadtarchiv in das ehemalige Siemenshaus an der Märkische Straße 14, doch auch hier wird es nun allmählich zu eng und die hohen nutzungstechnischen Anforderungen sind in diesem relativ alten Gemäuer kaum mehr zu gewährleisten. Deswegen wird seit 2019 an einer Machbarkeitsstudie für einen neuen Standort gearbeitet.
Erster wissenschaftlicher Leiter des Stadtarchivs war der Historiker Karl Rübel (1848-1916), seine Nachfolgerin Luise von Winterfeldt, die erste preußische Archivdirektorin, amtierte bis 1950. Sie musste miterleben, dass ausgerechnet am Auslagerungsort des Stadtarchivs ca. 70% der damaligen Bestände verloren gingen: Nicht im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges, sondern sie wurden im Kälte- und Hungerwinter 1945/46 schlichtweg verheizt. Welch unersetzbarer Verlust! Deswegen sind die von Karl Rübel zwischen 1881-1910 publizierten vier Bände des berühmten Dortmunder Urkundenbuchs (online bei der ULB/WWU Münster, https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/titleinfo/244291) mit ihren umfassend dokumentierten Archivalien so bedeutend.
Bereits Rübel verfasste eine Geschichte der Frei- und Reichsstadt Dortmund, die von seiner Nachfolgerin von Winterfeld in ihrer erstmals 1934 publizierten Geschichte der freien Reichs- und Hansestadt Dortmund, fortgeschrieben wurde – beide allerdings mit Schwerpunkt auf Stadtgeschichte bis 1803. Im Jahr 1994 erschien eine neue, aktualisierte Geschichte der Stadt Dortmund, die wiederum in den kommenden Jahren nochmals überarbeitet werden wird. Dazu wird der interne „Bestand 2“, d. h. der Bestand zur frühen Neuzeit erst das dritte Mal (seit Rübel und der Recherchen Anfang der 1990er Jahre) geöffnet. Man darf gespannte sein auf neue Forschungsergebnisse, z. B. zur Frage, ob Dortmund tatsächlich – nach der mittelalterlichen und vor der industriellen Blütezeit – ein kleines Ackerbürgerstädtchen war? Und wenn es anders war: Ob der berühmte Journalist Arnold Mallinckrodt deshalb um 1800 in Dortmund blieb?
All diese stadthistorische Geschichtsschreibung ist ohne die im Stadtarchiv geleistete Forschungsarbeit nicht möglich. Das Stadtarchiv Dortmund, so Dr. Mühlhofer, ist das Gedächtnis der Stadt Dortmund. Seine Archivarinnen und Archivare entscheiden, was für die Zukunft bleibt. Dabei ist es zu einem rechtssicheren Verwahren verpflichtet: So gelten bei geschlossenen Verwaltungsakten gesetzliche Aufbewahrungspflichten, es gilt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), es gilt eine 30-jährige Sperrfrist bei kommunalen Akten, es gilt bei unbekanntem Todesdatum eine bis zu 100-jährige Sperrfrist.
Der Beruf des Archivars ist ein Beruf mit vielen Herausforderungen, nicht zuletzt im Bereich der Zukunftsfähigkeit von einst fadengehefteten Akten – so mag es, wie Dr. Mühlhofer augenzwinkernd berichtet, der Archivar eigentlich am liebsten – zu digital aufbereiteten und abrufbaren Datenbanksystemen. Der Beruf des Archivars ist herausfordernd – und besitzt eine 120% Jobgarantie!
Nach diesem hochinteressanten, kurzweiligen und mit viel Applaus bedachten Vortrag leitete ein ruhiges Orgelstück zum Meister der Zahlen über: Vorstandsmitglied Dr. Thorsten Ziebach trug den erfreulichen Rechenschaftsbericht für 2021 vor. Nachdem in 2020 corona-bedingt und bei ausgefallenem Stiftungsjahrestag nur ein Spendenaufkommen von 22.000 € zu erzielt wurde, konnte sich die Stiftung in 2021 über eine hohe Spendenbereitschaft freuen: 155 Zuwendungen und ein großzügiges Vermächtnis führten zu einer Spendensumme von 62.000 € und damit zu einem der besten Ergebnisse in der Geschichte der Stiftung. Herzlichen Dank an alle, welche die Stiftung bedacht haben.
Die Gesamtrentabilität des Anlagevermögens und des Stiftungskapitals lag bei 1.183 € und damit leider weiterhin unter 1 %. An Ausgaben war in 2021 die neue Akustikanlage im Gemeindehaus mit rund 30.000 € zu refinanzieren, für die anstehende Sanierung der Kirchenfenster sind 38.000 € zweckgebunden zurückgelegt und weitere 53.000 € für Stiftungsprojekte frei verfügbar.
Im Anschluss verwies die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Renate Fischer auf die erfolgte Außensanierung der Chorhauptfenster, wenngleich dies an einem dunklen Novemberabend kaum wahrzunehmen sei und betonte, dass der Baukirchmeister die damit verbundene Unbill souverän ertragen habe. Sie dankte den Mitwirkenden und Gästen des Stiftungsjahrestages sehr herzlich und wünschte allen bei einem kleinen Umtrunk einen anregenden Ausklang des Abends.
Am Freitag, dem 10. November 2023, werden wir den 20. Stiftungsjahrestag feiern dürfen. Freuen Sie sich mit uns auf einen Rückblick und Ausblick Ihrer Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik der Ev. St. Mariengemeinde.
Mit herzlichen Grüßen
Silvia Schmidt-Bauer
– Schriftführerin –