Am 14. November 2014 feierte unsere Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik ihren 11. Stiftungsjahrestag mit einem festlichen Programm, in dessen Mittelpunkt unsere klangvolle Schwalbennest-Orgel stand. Mit der feierlichen Fantasia in G-Dur von J.S. Bach eröffnete Dr. Christian Vorbeck, Kantor von St. Marien in Witten, den Abend und ließ mit diesem wohl bekanntesten Orgelwerk Bachs bereits die wunderbaren Klangfarben unserer Orgel aufscheinen.
Der Vorsitzende des Vorstands, Pfarrer Ingo Maxeiner, begrüßte die Gästeschar sehr herzlich und schon bei seinen ersten Worten konnten die Zuhörer – dank einer neuen Akustikanlage – die deutlich verbesserte Tonübertragung erfahren. Er resümierte das zuletzt durchgeführte Renovierungsprojekt, den zum Erhalt der Kunstwerke notwendig gewordenen Heizungsneubau, und wies auf das nächste Großprojekt der Stiftung hin: die Sanierung des Kirchturms, der bereits eingerüstet werden musste, da Stein- und Fugenteile herabzustürzen drohen.
Bürgermeister Manfred Sauer überbrachte die Grußworte der Stadt, lobte das große ehrenamtliche Engagement der Stiftung und würdigte ihre erfolgreiche Arbeit, mit der sie schützend die Hand über eine der wunderbarsten Kirchen der Stadt halte. Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreis, Herr Ulf Schlüter, betonte mit Blick auf die in unserer heutigen Gesellschaft sich verflüchtigenden religiösen Selbstverständlichkeiten, dass gerade in St. Marien die Lebens- und Glaubensgeschichte von über 800 Jahren erfahrbar und durch die Gemeinde und die Stiftung lebendig gehalten würden.
Mit einer Improvisation über Thema und Variation stimmte Dr. Vorbeck in die verschiedenen Klangfarben der Orgel ein und eröffnete seinen hochinteressanten Vortrag zu Klang, Geschichte und Bedeutung der Steinmann-Orgel. In St. Marien reiche die Orgelmusik weit zurück in die Geschichte, denn an der Stelle der heutigen Orgel wurde bereits um 1520 eine solche an der Wand hängende Schwalbennest-Orgel im spätgotischen Stil eingebaut. Während der Renaissance und in den folgenden Jahrhunderten gab es mehrere Umbau- und Erweiterungsarbeiten an dieser Orgel. Im Jahr 1908 beauftragte man die berühmte Orgelbaufirma Walcker mit dem Neubau einer weiteren Orgel an der Westseite von St. Marien. Diese Walcker-Orgel wurde jedoch ebenso wie die historische Schwalbennest-Orgel im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nach 1945 wurden vielerorts im Ruhrgebiet kriegszerstörte Orgeln wieder aufgebaut, allerdings zunächst mit meist eher minderwertigen Materialien. In St. Marien wartete man bis 1967 und beauftragte dann die renommierte Orgelbaufirma Gustav Steinmann, die an alter Stelle eine neue Schwalbennest-Orgel unter Verwendung hochwertiger und ausreichend abgelagerter Hölzer sowie guter Metalle mit hochprozentigen Zinklegierungen baute. Sie ist heute eine der besten erhaltenen Orgeln aus dieser Zeit.
Anschließend begann Dr. Christian Vorbeck, die verschiedenen Werke, Register und Klangmöglichkeiten der Orgel vorzuführen und zu erläutern. Während das Spiel des Organisten üblicherweise den Augen der Zuhörer verborgen bleibt, konnten die Gäste an diesem Abend dank einer Kamera-Liveübertragung das Spiel des Organisten auf einer im Chor aufgestellten Großleinwand verfolgen. Dr. Vorbeck erläuterte zunächst das Bauprinzip von Orgeln, nach dem jedes Instrument aus mehreren Teilorgeln (Werken) besteht, die jeweils einem Manual bzw. dem Pedal zugeordnet sind. In St. Marien sind dies das Rückpositiv, das Brustwerk, das Hauptwerk und das Pedalwerk, die über drei Manuale (drei übereinander geordnete Reihen mit klavierähnlichen Tasten) und die Pedale bedient werden. Über diese Manuale/ Pedale werden die 36 Register mit ihren insgesamt 2495 Pfeifen zum Klingen gebracht. Das wichtigste Orgelregister ist dabei das Prinzipalplenum, die sogenannte Hauptstimme der Orgel, die in St. Marien am typischen norddeutschen Orgelklang des 18. Jahrhunderts orientiert ist. Doch auch der typisch französische Orgelklang, der Zusammenklang einzelner Zungenstimmen zum sogenannten Zungenplenum, ist ebenso möglich wie eine solistische Registrierung. Somit ist die Orgel in St. Marien nicht nur ein handwerklich hervorragend ausgeführtes Instrument, sondern mit ihr lässt sich von der klassischen Klangfarbe bis zur zeitgenössischen Tonsprache beinahe alles darstellen. Dies belegte Dr. Vorbeck eindrücklich mit seiner Improvisation, in der er die Orgel als zukunftsweisendes Instrument auch in der symphonischen Dichtung machtvoll aufklingen ließ.
Anschließend trug Vorstandsmitglied Friedrich Schophaus den Rechenschaftsbericht 2013 vor. Noch zehrt die Stiftung von langfristigen, zu guten Zinszeiten abgeschlossenen Anlagen, während bei kurzfristigen neuen Anlagen leider die derzeit schlechten Zinsbedingungen gelten. Um so mehr freue sich die Stiftung über jede weitere Spende.
Zum Abschluss dankte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Renate Fischer allen Stiftern und Spendern für ihre Unterstützung, allen Anwesenden für ihr Kommen, allen Rednern für ihr Mitwirken und insbesondere Herrn Dr. Vorbeck für seine informativen Ausführungen und die wunderbare Orgelmusik. Sie lud alle Gäste, die während dieser Feierstunde die frische Wärme resp. angewärmte Kühle der neuen Heizungsanlage erleben konnten, im Anschluss zu einem Empfang in der Kirche ein.
Zum musikalischen Ausklang schloss Dr. Christian Vorbeck den Bogen zum Beginn der Feierstunde mit einer Komposition von Franz Liszt. Dessen Präludium und Fuge über den Namen B-A-C-H ist sowohl ein musikalisches Kreuzmotiv, wie Bach selbst es vielfach einsetzte, als auch in seinen Tonbuchstaben eine Hommage an Bach. Hier konnte mit mal dunkel gurgelndem Klanggewölk, mal furios sich steigernden Klangwirbeln die Königin der Instrumente nochmals in all ihren musikalischen Facetten glänzen.
Silvia Schmidt-Bauer
Schriftführerin der Stiftung Kulturgut und Kirchenmusik